Das Vermächtnis
Aglaia hat sich für diesen besonderen Tag wieder eine
leckere Spezialität einfallen lassen. So serviert sie ihnen heute Dolmadakia
(Dolmadaika), gefüllte Weinblätter, sowie eine Moussaka, ein Gericht aus
Hackfleisch mit Tomaten, Auberginen und Béchamelsoße, als Nachspeise gibt es
eine Baklava, einem in Honig-Zuckermischung getränkten mit gehackten Nüssen
gefüllten Filo Teig, mit darübergestreuten Pistazienkernen. Dazu gibt es den
leichten Landwein. Viel zu üppig bei diesen Temperaturen, doch heute darf es
eine Ausnahme sein! Während die Frauen den kühleren Pavillon eindecken, holt
Jorgos Baba Yaga mit dem Auto ab.
Gerade rechtzeitig sind alle mit den Vorbereitungen fertig,
als sie eintrifft, die Baba Yaga! Gretas Freude ist riesengroß, als sie ihr
wieder gegenübersteht. »Ah, ich sehe, Jorgos tut dir gut! Du siehst prächtig
aus, liebe Greta!« Sie fällt ihr um den Hals, wie einst ihrer Großmutter, wenn
sie sie länger nicht mehr gesehen hatte. »Komm, liebe Baba Yaga, ich führe dich
zu unserem Pavillon, da ist es kühler. Hast du schon unseren Neuzugang
kennengelernt? Wir haben sie von meiner Heimat mitgenommen, da wurde sie gar
arg drangsaliert. Sie heißt Irini.« Bei ihrem Namen kommt sie gleich
angelaufen, beschnüffelt die Alte Weise, legt sich zu ihren Füßen. »Du bist
also Irini, die Friedliche, schön, dass wir uns kennenlernen! Ich bin, wie
Greta sagt, Baba Yaga!«
Auch Chico kommt sogleich herbei, um die Baba Yaga zu begrüßen.
Der gute Duft der mitgebrachten Speisen hat es ihm angetan! Als alle um den
großen Tisch sitzen, ergreift, wie sollte es anders sein, Costas das Wort: »Und
so habe ich die Ehre, eine liebenswerte, Alte Weise, hier im Refugio begrüßen
zu dürfen! Herzlich willkommen, Baba Yaga! Orexi!« Alle erheben ihre Gläser. Es
wird gegessen und getrunken, gelacht und viel geredet. Greta liebt diese
Zusammenkünfte, die so voller Leben und Fröhlichkeit sind. Den Ouzo als
Abschlussgetränk lassen sich alle munden. Costas dient heute als Übersetzter,
da Dona Savvina der deutschen Sprache nicht mächtig ist.
»Ich danke euch für das fantastische Essen, ich weiß gar
nicht, wann ich zuletzt so viel, so üppig gegessen habe! Danke, dass ihr euch
meine Worte anhören wollt, dass ihr euch Gedanken macht, über ein Vermächtnis!
Ich gebe zu, dass es mich anfangs überraschte, als mich Jorgos danach fragte,
ob ich mein Wissen, meine Erfahrungen weitergeben möchte, doch jetzt sehe ich,
wie wichtig es sein wird, für künftige Generation, einen Wissensschatz zu
übermitteln.
Vor allem dieser feminin-magische Ansatz, das Erbe dieser
Insel, gilt es zu bewahren. Da gebe ich Greta vollkommen recht. Besonders in
dieser Zeit des Umbruchs ist es wichtiger denn je, sich von den patriarchalen
Strukturen gänzlich zu verabschieden. Das soll nicht heißen, dass ich ein
männermordendes Ungeheuer bin, eine Emanze, die das Männliche per se abschaffen
möchte!
Vielmehr sehe ich eine Welt, worin die feminin-magische Wirklichkeit
sich wieder etablieren wird. Wir hatten das schon einmal und es funktionierte
sehr gut! Wenn jeder der beiden Geschlechter weiß, auf welchem Platz er steht,
gibt es auch keine Diskussionen darüber, wer bedeutender ist. Die Ergänzung
macht es meiner Meinung nach aus. Die Männer stehen, wie es von Anbeginn auch
gedacht war, hinter den Frauen, bestärken, ermuntern sie, die Frauen umgekehrt
machen dasselbe!«
Hier unterbricht sie, sie benötigt eine Atempause. In dieser
Hitze spürt Baba Yaga ihr hohes Alter. Das gibt den Anwesenden die Gelegenheit
Fragen zu stellen. »Was heißt feminin-magisch?«, möchte Juliane wissen, »wenn
du sagst, es hat nichts mit Emanzipation zu tun, wo liegt der Unterschied?«
Bevor Baba Yaga antworten kann, meldet sich Jorgos zu Wort: »Wenn du genau
zugehört hast, müsstest du diese Frage nicht stellen! Ich versuche, dir den
Unterschied zu erklären: Eine Emanze ist eine Frau, die meint, sie kommt ohne
Mann aus, Kinder werden adoptiert oder in Samenbanken gezeugt, finanziell ist
sie unabhängig.
...Fortsetzung im Buch...
© Andrea Mayr
aus dem Roman: Greta und die feminin-magische Insel