#05 Peppilotti in Hamburg, Teil 1
»Du Xaver, hast schon ghört, Peppilotti fährt diesmal
nach Hamburg! Da wären wir doch selbst gern dabei, nicht wahr?! Weißt du noch
damals, wir zwei alleine am Kiez…?«, sprach Bauer Peppi den Förster an. »Wie
könnte ich das jemals vergessen«, antwortete Xaver und ein verschmitztes
Lächeln umspann seinen Mund.
Als sie Peppilotti herannahen sahen, wechselten sie
abrupt das Thema. Natürlich hatte die weise Eule ihr Gespräch mitbekommen. Doch
um die beiden nicht zu brüskieren, erkundigte sie sich darüber, wie weit der
Bau des Holzhäuschens war.
»Bitte, denkt daran, so einfach, wie möglich. Wir wollen
unseren Gästen nur eine trockene Unterkunft bieten. Mit genügend Platz, damit
wir die Schlafsäcke unterbringen. Und eine Wärmequelle wäre nicht schlecht,
immerhin wird es dann bereits die dritte Dezemberwoche sein und wir wollen doch
nicht, dass unsere Freunde frieren!«
Xaver zeigte der Eule auf dem gezeichneten Plan ihre
Fortschritte, machte sich noch einige Notizen und ging gemeinsam mit Peppi
wieder an die Arbeit.
Die Tiere des Waldes saßen im Kreis und tüftelten, wie
Peppilotti von Innsbruck nach Hamburg kommen könnte. Taubsi und Täubchen hatten
in Erfahrung gebracht, dass es einen Nachtzug von Innsbruck bis Hamburg gibt.
Darf eine Eule mit dem Zug fahren? Wenn ja, wie berechnet sich die Fahrkarte?
Braucht die Eule eine Sitzplatzreservierung oder gar einen Liegeplatz? Diese
und andere Fragen galt es noch dringend abzuklären. So flogen die beiden
Brieftauben zum Hauptbahnhof und erkundigten sich bei einem Schaffner über die
noch offenen Fragen.
Zwischenzeitlich holten die Kohlmeisen und die Raben den
großen Atlas hervor. Die Tiere des Waldes staunten nicht schlecht, wie fern
entlegen Hamburg ist. »Das ist ja am nördlichsten Zipfel von Deutschland«,
riefen die Mäuse aufgeregt. »Nicht ganz. Noch weiter nördlich befindet sich
Flensburg«, antworteten die Käfer, die über den Atlas krabbelten. »Unglaublich, wie groß Deutschland ist!«, flötete das
Eichhörnchen.
Sie blätterten weiter im Atlas und fanden eine
Detailansicht von Hamburg. Mit bunten Nägeln fixierten sie einige Punkte und
banden kleine Kärtchen daran. Alle Waldbewohner wollten sich daran beteiligen
und so sah der Atlas im Nu aus wie ein bunter Ameisenhaufen.
»So geht das nicht!«, sprach der Hirsch, »wie soll sich
Peppilotti in diesem Chaos zurechtfinden? Weniger ist mehr. Einigt euch auf
maximal 3-4 Punkte, denn schließlich möchte unsere Waldhüterin noch einen
besonderen Menschen treffen.«
Peppilotti setzte sich zu ihnen und dankte dem Hirsch für
seine weise Entscheidung.
Schließlich trafen Taubsi und Täubchen mit wichtigen
Informationen bei den Waldbewohnern wieder ein. Sie hielten die Fahrkarten für
die Hin- und Rückfahrt zwischen ihren Flügeln und wedelten aufgeregt mit diesen
hin und her.
»Schau Peppilotti, hier sind deine Fahrkarten und eine
Sitzplatzreservierung für deine Reise nach Hamburg. Du sitzt gleich hinter dem
Lokführer und dieser würde sich freuen, wenn du ihm einen Besuch abstattest.
Morgen Abend ist es soweit. Der Zug fährt um 20:44 Uhr ab und du darfst dich
entscheiden, ob du bis Hamburg-Hbf. oder Hamburg-Altona fährst. Je nachdem, wo
du aussteigen möchtest, landest du um 08:50 Uhr oder 09:04 Uhr. Ist das nicht
eine coole Sache?! So bist du ausgeruht und kannst sofort mit deinen
Erkundigungen starten.«
Peppilotti schlang ihre Flügel um die beiden Brieftauben und
bedankte sich hingebungsvoll bei ihnen. »Was würde ich nur ohne eure Hilfe tun?
Ihr seid ein Geschenk des Himmels, habe ich euch das schon einmal gesagt?«
Taubsi und Täubchen gurrten vor Vergnügen. Man konnte sehen, wie sie sich
körperlich aufrichteten, ob dieses Lobes.
Die weise Eule überlegte, ob sie einen Pullover, einen
Schal und eine Mütze mitnehmen sollte. Immerhin war es September und wer weiß,
wie die Temperaturen im Hohen Norden waren. Und zur Sicherheit, so überlegte
sie, wird sie wohl die Stola mitnehmen, die sie bereits in Bregenz getragen
hatte und wohl auch die Perlenkette. Einmal in einem Hamburger Theater zu
sitzen, das stellte sich Peppilotti traumhaft vor...
Sorgfältig breitete sie ihre Sachen aus, damit sie auch
nichts vergaß. So füllte sich ihr Rucksack mit folgenden Dingen: Ein Pyjama,
ein Pullover, eine Mütze, ein paar bequeme Slipper für die lange Reise, die
schwarze Stola, ihre Perlenkette, ihr Reisetagebuch und ihre Polaroidkamera.
Ihre Wanderschuhe standen bereits fein säuberlich gereinigt neben ihrem
Rucksack, darüber lag ihr Tiroler Hut. Die Waldbewohner hatten noch eine kleine
Überraschung für sie. Im Chor sangen sie:
Für unsere
P-e-p-p-i-l-o-t-t-i- fein,
unser
allerbestes Waldhüterlein,
nirgendwo
unter dem Himmelszelt,
gibt es
eine, die weiser, klüger, erzählt.
So
überreichen wir ihr dieses Kissen,
in dem gutem
Gewissen,
dass sie uns
nicht vergisst.
Peppilotti kamen die Tränen vor Rührung. Ein Reisepolster
mit ihrem Namen! Er fühlte sich samtig weich an und erst der Duft – nicht von
dieser Welt! Die Waldbewohner einigten sich auf eine kurze
Verabschiedung in ihrem Wald. Lange Abschiede machten Peppilotti stets traurig.
Als sie in ihrem Zugabteil auf ihrem Platz saß, kugelte doch eine Träne aus
ihren wunderschönen grünen Augen. »Wie reich beschenkt ich doch bin mit dieser
Waldgemeinschaft! Könnte es doch überall auf der Welt so friedlich und herzlich
zugehen, das Leben wäre ein anderes«, sinnierte sie vor sich hin.
Der Schaffner riss sie aus ihren Gedanken heraus.
»Fahrkarten bitte, das gilt auch für Eulen!«, zwinkerte er ihr zu. Peppilotti
gluckste freudig und wusste, dass sie mit diesem Mann ein humorvolles Gespräch
führen würde. Die Fahrgäste staunten nicht schlecht, als sie mitbekamen, dass
sich eine Eule mit Rucksack, Wanderschuhen und Tiroler Hut unter ihnen befand.
Schnell zückten sie ihre Kameras oder Smartphones und Peppilotti stellte sich
gerne als Fotomotiv zur Verfügung.
Während der Fahrt setzte sich Peter, der Schaffner, immer
wieder neben die Eule. Er erzählte viel aus seinem Leben und warum er seinen
Job so sehr liebt. »Weißt du, ich liebe die Vielfältigkeit der Menschen. Keiner
gleicht dem anderen. Das merke ich bereits, wenn ich in ihre Nähe komme. Jedem
umgibt eine eigene Energie. Ja, es gibt auch diejenigen, die grantig sind. Aber
mich stört das nicht. Ich lasse mir den Tag dadurch nicht vermiesen und
manchmal gelingt es mir, auch diesen Menschen ein Anflug von Lächeln in ihr
Gesicht zu zaubern.«
Fasziniert von diesem Mann beschloss Peppilotti spontan
auch Peter zu ihrem großen Fest einzuladen.
Die Stunden vergingen, Peppilotti hatte es sich gemütlich
auf ihrem Sitz eingerichtet und wollte soeben ein Nickerchen abhalten, als
Peter mit einer Tasse dampfenden Etwas zu ihr kam. »Das ist heiße Schokolade
mit Sahne und Zimt. Ich bin mir sicher, so eine Köstlichkeit hast du als Eule
noch nie getrunken. Probiere es aus. Aber Vorsicht, es könnte dich süchtig
machen!«
Peppilotti tauchte ihren Schnabel vorsichtig in das
Getränk. Bereits beim ersten Schluck verdrehte sie die Augen und meinte:
»Suchtfaktor vorprogrammiert! So etwas Himmlisches habe ich tatsächlich noch
nie getrunken! Herzensdank für einen wundervollen Auftakt zu meiner Reise nach
Hamburg!«
Nach ihrer Abendtoilette holte sie sich ihren Pyjama aus
dem Rucksack, blickte noch einmal auf die hereinscheinende Mondin, sprach ihr
Abendgebet und fiel alsbald in einen tiefen Schlaf.
Als sie ihre Augen wieder öffnete, konnte sie in der
Ferne die Morgendämmerung wahrnehmen. Sie streckte und rekelte sich,
absolvierte ihre Morgengymnastik, machte sich auf der Toilette frisch, zog sich
um und wartete schon ungeduldig auf die Ankunft in Hamburg. Peter brachte ihr
noch ein kleines Frühstück vorbei und empfahl der Eule am Hauptbahnhof
auszusteigen und ihre Reise an der Alster zu beginnen. Außerdem lernte er ihr
noch die wichtigste Redewendung der Hamburger, die allzeit anzuwenden wäre:
»Moin, Moin!« Sie ließ Peter in ihr Reisetagebuch eintragen und hinterließ ihm
eine Feder.
...Fortsetzung im Teil 2...
© Andrea Mayr